Bis 2030 möchte die Bundesregierung zehn Millionen Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen sehen, eine Million Ladepunkte soll es geben. Heute haben wir 220.000 E-Autos und 21.100 Ladepunkte in Deutschland. Ist das Berliner Stromnetz auf diesen Zuwachs vorbereitet?
Wir haben natürlich nicht gewartet, bis die Bundesregierung einen Masterplan vorlegt. Rechnet man die zehn Millionen E-Autos auf Berlin herunter, kommt man auf 216.000. Vor drei Jahren haben wir bereits analysiert, was es bedeuten würde, wenn 20 Prozent der Autos in Berlin elektrisch wären. Das entspricht mehr als 200.000 Fahrzeugen. Wir haben also gut gerechnet. Das Ergebnis: Für das Stromnetz ist das prinzipiell kein Problem – Angst vor Blackouts muss niemand haben.
Was bedeutet das für die benötigten Netzanschlüsse der Ladepunkte?
Nach der oben genannten Potenzialanalyse haben wir unter anderem gemeinsam mit der TU Berlin zwei repräsentative Teilnetze untersucht, also den Hochlauf der Elektromobilität mit der Mehrbelastung simuliert. Dabei hat sich aber auch gezeigt, dass bei einer höheren Durchdringung mit mehr Elektrofahrzeugen das Netz mitunter angepasst werden muss.
Wie funktioniert diese Anpassung?
Wir haben neben den theoretischen Betrachtungen ein Testcenter aufgebaut. Dort prüfen wir neue Technologien, zum Beispiel den von uns selbst entwickelten Phasenwähler, um die ungleich verteilte Netznutzung zu beherrschen oder auch ein dynamisches Lastmanagement, mit dem der Stromabnehmer die bestmögliche Auslastung seines Netzanschlusses erreicht und die verfügbare Kapazität optimal nutzt. Solche Innovationen wollen wir nach den Tests dann auch schnell ins Netz überführen.
Jens Oberländer, Leiter der Koordinierungsstelle Elektromobilität bei Stromnetz Berlin. Foto: Privat
Auch Sie als Netzbetreiber wollen die Auslastung des Stromnetzes steuern. Wie darf man sich ein Lastmanagement in der Dimension einer ganzen Stadt vorstellen?
Mit einem netzdienlichen Lastmanagement – also einer sinnvollen Verteilung des verfügbaren Stroms – sind wir in der Lage, die Netzauslastung für die ganze Stadt zu optimieren. Wenn die Stromnutzung beispielsweise um 17 Uhr stadtweit stark ansteigt, weil die Leute Feierabend machen und ihre Autos aufladen, müssen wir natürlich dafür sorgen, dass trotzdem jeder Strom hat. Wir versuchen Anreize zu schaffen, die Stromnutzung besser zu verteilen. Darum bieten wir als Netzbetreiber besondere günstige Netztarife an, die von den Stromlieferanten an die Kunden weitergegeben werden können, wenn sie eben nicht um 17 Uhr laden. All das sind Aspekte von Lastmanagement für eine optimale Auslastung des Stromnetzes.
Sind diese besonderen Zeiten immer planbar?
In der Regel ja. Wir haben eine langjährige Erfahrung als Netzbetreiber und natürlich gibt es bestimmte Muster. Zwischen den Prognosen und der Realität gibt es dennoch mitunter Abweichungen, allerdings im unkritischen Bereich. Durch zunehmenden Einsatz von Big Data, durch modernere Messtechnik und zukünftig vermutlich auch durch künstliche Intelligenz wird das auch noch besser.
Was passiert im gegenteiligen Fall, wenn mehr Strom im Netz verfügbar ist, als gebraucht wird?
Verloren geht da nichts. Auch für diese Fälle gibt es zuverlässige Prognosen. Meist sind dann heute Gas- und Kohlekraftwerke gefordert, ihre erzeugte Energie anzupassen. Denn Strom aus erneuerbaren Energien hat gesetzlichen Vorrang.
Vorrang von Ökostrom, E-Auto-Offensive – das klingt zunächst nach einer sehr umweltfreundlichen Zukunft. Aber reicht das aus für die Mobilitätswende?
Das alles sind aus meiner Sicht erste Schritte in die richtige Richtung. Mittelfristig reicht es aber sicherlich nicht aus, nur auf E-Autos zu wechseln. Wir brauchen ein umfassendes Konzept für eine Mobilitätswende, das auch den öffentlichen Nahverkehr, die gesamte Infrastruktur und natürlich auch den Fahrradverkehr einschließt. Das fehlt bisher.
Dazu kommt, dass es zwar Förderungen und Anreize für elektrische Mobilität gibt, der Kunde das aber noch sehr wenig nachfragt. Es gilt nun, die Menschen von den Vorteilen der Elektromobilität zu überzeugen. Bisher sehen viele potenzielle Kunden nur den höheren Preis. Politik und Wirtschaft müssen aber beispielsweise auch die Vorteile für die Umwelt und den Zugewinn an Lebensqualität verdeutlichen.
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